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10. Todestag von Kurt Raab (1941-1988) Kurt
Raab, geboren am 20. Juli 1941 in Bergreichenstein (Böhmen). Er wächst
ab 1945 in Weißenbrunn (Oberfranken), dann in Steinbeißen (Niederbayern)
auf, wo der Vater sich als Pferdeknecht verdingt, besucht das Musische Gymnasium
in Straubing, an dem er Wilhelm Rabenbauer (Peer Raben) kennenlernt. Mit ihm geht
er nach dem Abitur 1963 nach München, beginnt ein Studium der Germanistik
und Geschichte, arbeitet nebenher als Kabelträger beim Fernsehen des Bayerischen
Rundfunks, bis 1969 auch als Requisiteur fürs ZDF und die Bavaria. 1966 wird
er Kassierer im action-theater, erhält im August 1967 in Rabens „Antigone"
Bearbeitung eine erste Rolle. Er spielt König Peter in der Raben/Fassbinder-Gruppenproduktion
„Leonce und Lena" (Oktober 1967), tritt am Büchner-Theater als „König
Ubu" auf, ist 1968 Mitbegründer des antiteaters, erhält Hauptrollen
in den Fassbinder-Inszenierungen „Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben
wird (Juli 1968), „Orgie Ubuh" (August 1968), tritt als Peachum in „Die Bettleroper"
auf (Februar 1969), spielt den Mörder in „Pre-paradise sorry now". Im Juli
1969 inszeniert er die eigene Bearbeitung „Don Carlos After Schiller".
In Fassbinder/Fenglers
weitgehend improvisiertem Kleinbürger-Dokument „Warum
läuft Herr R. Amok?" erhält er seine erste große Rolle: die
eines technischen Zeichners, der seine Familie auslöscht und sich selbst
erhängt. Sie prägt Raabs Arbeit für die nächsten Jahre. Er
ist abonniert auf den Spießer, Spezialist für das Miese - kein anderer
maskiert sich bis zur Kenntlichkeit so biedermännisch, treibt die Anpassung
so zum Exzeß. 1971 geht er ans Schauspielhaus Bremen, 1972 folgt er Fassbinder
ans Schauspielhaus Bochum („Liliom"), spielt 1973 in seiner „Hedda Gabler"-Inszenierung
an der Freien Volksbühne Berlin und ist 1974/75 in Frankfurt am Main sein
Ensembledirektor im mitbestimmten Theater am Turm (TAT), inszeniert dort Bruckners
„Die Verbrecher". Nach
seinem Drehbuch „Fuchs und Wolf" dreht Ulli Lommel 1972/73 „Die Zärtlichkeit
der Wölfe", in dem Raab, kahlgeschoren, sich dem Lust- und Knabenmörder
Haarmann anverwandelt. In Fassbinders „Satansbraten" demonstriert er mit Genuß
grelle und groteske Komik, den Untergang des Stationsvorstands „Bolwieser" (nach
Oskar Maria Graf) zelebriert er als Passion. Zugleich ist Raab Fassbinders ständiger
Ausstatter; für „Whity" wird er 1971 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
„Ich liebte nichts mehr als plüschige Schwülstigkeit, Zweckentfremdung
sakraler Gegenstände, Zimmerpalmen zuhauf und röhrende Hirsche auf schlichten
Ölbildern an den Wänden" (Raab/Peters 1982). Nur gelegentlich dreht
er mit anderen Regisseuren, darunter Reinhard Hauff („Mathias Kneißl", „Die
Verrohung des Franz Blum") und Herbert Achternbusch („Die Atlantikschwimmer")
sowie abermals Lommel („Adolf und Marlene") und Fengler („Eierdiebe"). Die Zusammenarbeit
mit Fassbinder endet 1977. 1978
spielt Raab am Berliner Schiller-Theater in Thomas Braschs „Lovely Rita" (Regie:
Nils-Peter Rudolph) und bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen („Kasimir und Karoline").
1981 gastiert er mit dem Solostück „Auftritt für Doña Margarita"
am Studiotheater München, 1985/86 ist er am Münchner Volkstheater engagiert
(„Schwejk im Zweiten Weltkrieg", „Doppelkopf"), 1986 in David Mamets „Egmont"
(Regie: Dieter Giesing) am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Als
Faxenmacher pflegt er überdrehte, neurotische Ticks, den „schlechten" Geschmack.
Als korrupter Opern-Intendant in Robert Van Ackerens experimentellem „Belcanto"
(nach Heinrich Manns „Empfang bei der Welt") agiert er heiter wie nur irgendein
erdenklicher Kantinenwirt. In der Chargen-Klamotte „Heute spielen wir den Boß"
(die Peer Raben nach Raabs Drehbuch inszeniert) kostümiert er sich als falscher
Priester, Kaiser Nero, König Ludwig und Chaplins „Großer Diktator".
1982 führt er Regie in „Die Insel der blutigen Plantage" (mit Udo Kier, Barbara
Valentin). Unter chaotischen Umständen auf den Philippinen realisiert, wird
der Film zum finanziellen Fiasko für den Produzenten Peter Kern - aber ein
Erfolg auf dem südostasiatischen Markt. Raab
agiert in Fernsehserien (u.a. als „Mann mit der Narbe" in der Jugendbuch-Verfilmung
„Die schwarzen Brüder", nach Lisa Tetzner), er castet die Prominenten-Parade
„Kir Royal" und wirkt in internationalen Produktionen mit: Barbet Schroeders „Tricheurs",
Jim Goddards „Parker". Sein Auftritt als Hitler in der US-Serie „Me and the Duce"
wird aus der vom ZDF gesendeten deutschen Fassung eliminiert.
Raab hat 1975
erste Drehbuch-Fassungen zu „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel" und „Die Ehe
der Maria Braun" verfaßt, 1981 ein Drehbuch zu „Querelle" bearbeitet. Im
September 1982 veröffentlicht er (mit dem Journalisten Karsten Peters) die
Fassbinder-Biografie „Die Sehnsucht des Rainer Werner Fassbinder". Unter dem von
Fassbinder verliehenen Kosenamen „Emma Kartoffel" war er Kolumnist der Filmzeitschrift
„Cinema". In
Hamburg erkrankt Raab an AIDS. Die Konsequenzen seiner Krankheit reflektiert er
1987 in einem Gast-Auftritt in Achternbuschs „Wohin?", 1988 in der eigenen Video-Produktion
„Mitten im Leben". Kurt Raab stirbt am 28. Juni 1988 in Hamburg. Dort wird er
beigesetzt; seine bayerische Heimatgemeinde Steinbeißen hat ihm die Erdbestattung
verweigert. |