Materialien | Im Westen nichts Neues | |||||||||||||
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Essay Als am 4. Dezember 1930 der amerikanische Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues" im Berliner Mozartsaal seine deutsche Premiere erlebte, hatte der Film im Ausland bereits einen triumphalen Erfolg davongetragen. Allein in New York lief er nach seiner amerikanischen Uraufführung am 21. April 1930 in Los Angeles mehrere Wochen in den größten Kinos. Die Academy zeichnete ihn im November 1930 als besten Film des Jahres mit einem Oscar aus; einen weiteren erhielt Lewis Milestone für seine Regieleistung. Von der deutschen Öffentlichkeit wurden diese Erfolgsmeldungen sorgsam registriert. Vor allem aus dem Lager der nationalistischen und nationalkonservativen Kräfte gab es Stimmen, die sich bereits im Vorfeld der Berliner Premiere für ein Verbot des Films aussprachen, ohne diesen überhaupt gesehen zu haben. Die Auseinandersetzungen, die sich anbahnten und eine ungeahnte Intensität erreichen sollten, setzten die Kontroversen und Polemiken fort, die sich zuvor bereits an Erich Maria Remarques gleichnamigen Roman, der literarischen Vorlage des Films, entzündet hatten. Ende Januar 1929 in Buchform beim Propylän-Verlag des Ullstein-Konzerns erschienen, stieg Remarques Buch innerhalb kurzer Zeit weltweit zu einem Bestseller auf. Die Zahl der verkauften Exemplare überschritt in Deutschland noch im selben Jahr die 900.000-Stück-Grenze, ungeachtet oder gerade wegen der widersprüchlichen Resonanz, die das Buch hervorrief. Das Spektrum der Diskussionsbeiträge reichte von enthusiastischer Zustimmung bis hin zu totaler Ablehnung, und während die einen die realistische Schilderung des Krieges und die pazifistische Wirkung des Romans lobten, kritisierten die anderen ihn für seine einseitige Darstellung der Ereignisse, die den Heldenmut und die Opferbereitschaft der deutschen Soldaten gänzlich ausklammere. Der Streit, der sich vorwiegend am Inhalt festmachte und sich einem klaren Rechts-Links-Schema verschloß, wurde schon nach wenigen Wochen auf eine politische Ebene gehoben und mündete, jeglicher sachlicher Argumentation entkleidet, in einem erbitterten Schlagabtausch. Das Buch und sein Autor wurden zu einem der politisch-ideologischen Schauplätze, auf denen in der gegen Ende der 20er Jahre erneut zunehmend von sozialen Spannungen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gebeutelten Republik der Kampf um die Macht ausgetragen wurde. Insbesondere die Vertreter rechter Gruppierungen, allen voran die Nationalsozialisten, machten Remarque und sein Werk zu einem Sinnbild jener gesellschaftlichen und politischen Kräfte, denen man die Schuld an der sich zuspitzenden Krise anlastete und die es deshalb zu bekämpfen galt. Wie sehr dabei die Niederlage von 1918 ein Rolle spielte und die geistige Befindlichkeit in Deutschland bestimmte, läßt sich nicht zuletzt an der ab 1927 neueinsetzenden Kriegsliteraturwelle ermessen. Zahlreiche Bücher pazifistischer wie nationalistischer Tendenz wurden auf den Markt gespült und von diesem begierig aufgesogen. In einem Klima politischer Polarisierung und allgemeiner Verunsicherung war dies nur ein Anzeichen für den beginnenden Zerfall der Weimarer Republik. Als sich die Universal Studios am 3. Juli 1929, kaum ein halbes Jahr nach Erscheinen des Buches die Verfilmungsrechte an Remarques Roman sicherten, war dieser nicht nur in Deutschland bereits in aller Munde, sondern auch in den USA zu einem Publikumserfolg avanciert. Die Dreharbeiten, die noch im Herbst desselben Jahres begannen, wurden von der deutschen Presse aufmerksam verfolgt. Insbesondere die deutschnational eingestellten Publikationsorgane witterten eine Gefahr in der Verfilmung des umstrittenen Buches, zumal sich mit Carl Laemmle, dem deutschstämmigen Chef der Universal Pictures Corp., ein Produzent des Stoffes angenommen hatte, der sich mit Propagandafilmen wie „The Kaiser - The Beast of Berlin" (1918) und „Heart of Humanity" (1918/19) einer antideutschen Haltung verdächtig und sich damit nicht nur bei den Deutschnationalen unbeliebt gemacht hatte. Vom „Völkischen Beobachter" in seiner Ausgabe vom 10. September 1929 als „jüdischer Deutschenhetzer" beschimpft, wußte Laemmle daher schon im Vorfeld, auf was er sich mit der Verfilmung von „Im Westen nichts Neues" eingelassen hatte. Die Proteste, die von deutscher Seite bereits kurz nach der amerikanischen Uraufführung gegen den Film vorgebracht wurden, veranlaßten die Universal in Rücksichtnahme auf eine eventuelle Verletzung des deutschen Nationalgefühls, Schnitte vorzunehmen. Die amerikanische Presse kommentierte diesen Schritt mit heftiger Kritik. Am 26. August 1930 wurde der Film dann der Berliner Filmprüfstelle in seiner englischsprachigen Originalfassung vorgelegt. Da diese Fassung ohnehin nicht für den deutschen Verleih vorgesehen war, wurde von einer Entscheidung auf Freigabe abgesehen. Daß der Film dem deutschen Ansehen schade, wie es in einem späteren Urteil heißen sollte, konnte allerdings nicht festgestellt werden. Einige Monate später passierte schließlich eine von der Universal in vorauseilender Selbstzensur um zwölf Meter gekürzte, deutschsprachige Fassung die Berliner Prüfbehörde. Mit Jugendverbot und einigen Schnittauflagen belegt, wurde sie von der zuständigen Kammer am 21. November 1930 zur Vorführung im Reichsgebiet zugelassen. Die Krawallaktionen der NSDAP und ihrer Sympathisanten begannen am Tag nach der Berliner Premiere. Mit lautstarken Zwischenrufen und körperlichen Angriffen, bewaffnet mit Stinkbomben und weißen Mäusen, provozierten sie unter den Kinobesuchern einen Tumult, der die Kinoleitung zwang, die Vorstellung vorzeitig abzubrechen und den Saal räumen zu lassen. Die Vorführungen am 6. und 7. Dezember konnten nur unter massivem Polizeischutz stattfinden, und auch während der beiden folgenden Tage beherrschten Protestdemonstrationen pöbelnder und randalierender Nationalsozialisten die Szene rund um den Mozartsaal am Nollendorfplatz. Der Berliner Polizeipräsident reagierte auf die Ausschreitungen mit einem vorläufigen Demonstrationsverbot. Die Berliner Filmoberprüfstelle zog einen Tag später, am 11. Dezember 1930, auf Antrag der Länderregierungen von Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Bayern und Württemberg sowie auf entsprechende Empfehlung der Ministerien des Inneren und Äußeren sowie des Reichswehrministeriums mit einem Verbot des Films nach. Interessanterweise war es gerade Preußen, das darauf verzichtet hatte, gegen die Zulassung des Films Widerspruch einzulegen. In ihrer Urteilsbegründung hob die Behörde auf den Tatbestand der „Gefährdung des deutschen Ansehens" ab und führte dazu aus: „Eine so ausgesprochen einseitige Darstellung, die die ganze Krassheit des Krieges und seine menschlichen Schwächen nur und ausschließlich auf deutscher Seite sucht [...] und jedes ethische Moment auf deutscher Seite bewusst vermissen lässt, wird von weitesten Volkskreisen, die Kriegsteilnehmer gewesen sind, ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit als Verhöhnung empfunden." Im übrigen sei „der vorliegende Bildstreifen nicht der Film des Krieges, sondern der Film der deutschen Niederlage". Folgerichtig sei es „mit der Würde eines Volkes [...] nicht vereinbar, wenn es seine eigene Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellungsfirma, sich vorspielen liesse. Es würde im Ausland nicht verstanden und als Billigung der bösartigen Originalfassung dieses amerikanischen Filmwerks angesehen werden, wenn dieser Bildstreifen, für den deutschen Gebrauch zurechtgemixt, über die Leinwand deutscher Lichtspielhäuser laufen würde." Nach Ansicht Dr. Ernst Seegers, dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, erübrigte sich damit die Überprüfung weiterer Verbotsgründe. Daß der Film möglicherweise eine Gefährdung für die öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Reich darstelle, spielte als Verbotstatbestand bei der Urteilsfindung folglich keine Rolle. Damit waren die Zensoren über jeden Verdacht erhaben, sich mit ihrer Entscheidung dem Druck der Straße und den Drohungen der NSDAP und anderer national-konservativer Kreise gebeugt zu haben. „Das ist ein Triumph. Es hagelt Glückwünsche von allen Seiten", so notierte Joseph Goebbels, damals NS-Gauleiter in Berlin und Hauptagitator während jener Krawalltage, am Tag nach der Entscheidung in sein Tagebuch, und zwei Tage später: „Die Republik tobt vor Wut über unseren Filmsieg. Der hat auch gesessen. [...] Wir sind in den Augen der Öffentlichkeit die starken Männer." (Tagebuchnotizen vom 12.12.1930 und 14.12.1930. Zit. nach Elke Fröhlich: Die Tagebücher Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Bd. 1: 1924-1930, München u.a. 1987). Daß es den Nationalsozialisten in erster Linie nicht um den Film selbst ging, sondern in der Auseinandersetzung um ihn um den Beweis ihrer Macht und Stärke im auseinanderbrechenden Staat, scheint vor dem Hintergrund dieser Bemerkung offensichtlich. Was ihnen ein halbes Jahr zuvor, anläßlich der Premiere von G.W. Pabsts „Westfront 1918", einem der ersten deutschen Antikriegsfilme, noch nicht gelungen war, hatten sie nun geradezu spielend erreicht. Das zeigt mehr als deutlich, in welche Richtung sich das gesellschaftliche und politische Kräfteverhältnis in Deutschland bereits zu verschieben begonnen hatte. Die Reichstagswahlen vom 14. September 1930 hatten die Rechtsparteien wieder in die Vorhand gebracht und insbesondere der NSDAP einen unglaublichen Wahlerfolg bescherte. Die Zahl ihrer Mandate hatte sich von vormals 12 auf nun 107 Sitze erhöht. Damit war den Nationalsozialisten der Durchbruch von einer kleinen Splitter- zu einer Massenpartei gelungen, die imstande war, Wähler verschiedener sozialer Schichten an sich zubinden. Die Reaktionen des Auslands auf die Zensurentscheidung und die damit zusammenhängenden innenpolitischen Ereignisse warenaußerordentlich. Die französische Zeitung „Le Matin" nannte das Verbot „den ersten großen Sieg, den der Hitler-Terror nach den Wahlen vom 14. September erkämpft" habe (zit. nach „8-Uhr-Abendblatt" vom 12.12.1930); und auch die englische Presse sah in den Vorgängen einen Akt offensichtlicher Agitation und gezielter politischer Einflußnahme, vergleichbar einer Kapitulation der politisch Verantwortlichen. Im Inland waren die Kommentare seitens der politischen Opposition nicht weniger scharf. Von zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie z.B. Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Carl Zuckmeyer oder Carl von Ossietzky kamen lautstarke Proteste. So wirkungslos, wie diese allerdings blieben, so erfolglos waren letztlich auch die Versuche linker Kreise, knapp eine Woche nach der Entscheidung der Filmoberprüfstelle nun ihrerseits die Zulassung eines Films und zwar der Ufa-Produktion „Flötenkonzert von Sanssouci" mit einer ähnlichen Strategie zu boykottieren, derer sich zuvor die Nationalsozialisten so erfolgreich bedient hatten. Daß „Im Westen nichts Neues" schließlich doch noch in die deutschen Kinos kam, wenn auch nur für kurze Zeit, ist u.a. einer Novelle des Lichtspielgesetzes zu verdanken, die mit Stimmen der SPD, der DVP, des Zentrums und der Deutschen Staatspartei verabschiedet wurde und am 31. März 1931 in Kraft trat. Das Änderungsgesetz, das als „Lex Remarque" bekannt werden sollte, eröffnete die Möglichkeit, Filme, gegen deren öffentliche Vorführung Versagungsgründe vorlagen, „unter beschränkenden Vorführungsbedingungen" zuzulassen. „Im Westen nichts Neues" passierte daraufhin in einer von der Universal nochmals gekürzten Fassung die Berliner Prüfstelle und wurde am 8. Juni 1931 „für bestimmte Personenkreise und in geschlossenen Veranstaltungen" freigegeben. Die allgemeine Wiederzulassung des Films erfolgte schließlich am 2. September 1931, nachdem zuvor weitere Schnitte vorgenommen worden waren und sich die Produktionsfirma verpflichtet hatte, zukünftig auch im Ausland nur noch diese von den deutschen Zensurbehörden genehmigte Fassung zu zeigen. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß ausgerechnet die Ufa, deren Vorsitzender Alfred Hugenberg die nationalsozialistischen Aktionen am nachdrücklichsten unterstützt hatte, den Film nun in ihren eigenen Kinos zeigte. Trotzdem kam es in den folgenden Monaten immer wieder zu massiven Störaktionen, bis der Film Anfang 1933, nach der „Machtergreifung" Hitlers endgültig verboten wurde. Bei diesem Verbot in Deutschland blieb es allerdings nicht. In Österreich war der Film bereits am 9. Januar 1931 aus dem Verleih gezogen worden, andere Länder wie Frankreich folgten wenig später. Universal selbst brachte immer neue und kürzere Fassungen des Films heraus: 1934 fast ohne alle Schleiferszenen, 1939 mit eingeschnittenen Dokumentaraufnahmen, die von einem Sprecher kommentiert wurden. Bild- und Tonveränderungen machten während des Koreakrieges, Anfang der 50er Jahre aus dem ehemaligen Antikriegsfilm schließlich einen reinen Kriegsfilm. In Deutschland gelangte „Im Westen nichts Neues" erst einige Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges in einer neu synchronisierten, aber gekürzten Fassung wieder in die Kinos. Die Wiederaufführung fand am 25. April 1952 im Berliner Capitol statt. In Frankreich hingegen wurde das Filmverbot erst 1963, in Österreich offiziell sogar erst zu Beginn der 80er Jahre aufgehoben. Ebenfalls Anfang der 80er Jahre wurde im Auftrag des ZDF eine Rekonstruktion der Originalfassung vorgenommen, die am 18. November 1984 im ZDF erstmals ausgestrahlt wurde. Die vorerst letzte Restaurierung des Films, durchgeführt von der Filmabteilung der Bücherei des US-Kongresses in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Kabelkanal AMC, erfolgte Mitte der 90er Jahre (Erstaufführung: 05.06.1998, AMC). er |
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