Martin Rikli
 
Wilhelm Prager
Filmographie
Literatur
 
Kulturfilm

 

Biographie


Martin Rikli wird am 19. Januar 1889 in Zürich geboren. Sein Vater ist Professor für Botanik an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH). Martin Rikli jun. studiert Chemie und Physik, zunächst ebenfalls an der ETH, später an der Technischen Universität Dresden. Schon als Schüler und Student interessiert sich Rikli für die Fliegerei, baut Flugzeugmodelle und experimentiert zusammen mit seinem Freund August Piccard mit "raketengetriebenen" Flugmodellen. Er ist Gründer und Vorsitzender der Akademischen Gesellschaft für Flugwesen "Agis" in Zürich und gehört in Dresden der Akademischen Fliegergruppe an.

Im Verlauf des Studiums spezialisiert er sich auf Photochemie und schreibt seine Dissertation über "Alter und Entflammbarkeit von Kinofilmen". Die Arbeit bringt ihm eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Zeiss-Ikon-Werken in Dresden ein. Im dortigen Versuchslabor erprobt er neu konstruierte Kameras, die für Aufgaben in der wissenschaftlichen Kinematographie entwickelt worden sind. 1924/25 produziert er in seiner Freizeit den Mikrofilm "An der Schwelle des Lebens", einen stummen Lehr- und Vortragsfilm mit wenigen Zwischentiteln, der jedoch in keinem öffentlichen Kino zur Aufführung kommt.

Drei Jahre lang ist Rikli für Zeiss-Ikon tätig, dann erhält er 1927 die Möglichkeit, als junger Forscher an einer Expedition nach "Deutsch-Ostafrika" teilzunehmen. Hierzu gewährt die Firma Zeiss ihm Urlaub. Anfänglich gestaltet sich das Unternehmen schwierig. Rikli übernimmt schließlich die Expeditionsleitung, und die Teilnehmer erhalten Unterstützung durch den Dresdner Zoologischen Garten und den "Dresdner Anzeiger". Riklis filmischer Bericht über diese Expedition, "Heia Safari" (1928), wird ein großer Erfolg. Bei seiner Uraufführung im Dresdner Ufa-Palast wird das Deutschlandlied gesungen, die Vorführung gerät zur vaterländischen Manifestation.

In seinen Memoiren "Ich filmte für Millionen" (1942) schildert der stramm völkisch denkende Rikli später die Leistungen deutscher Kolonialisten, "...ein Land, fast doppelt so groß wie Deutschland, gegen hundertfache Übermacht heldenhaft und unbesiegt zu verteidigen..." und polemisiert am Beispiel eines Farmers gegen die englische Politik nach dem ersten Weltkrieg: "Er verließ damals als letzter Deutscher Afrika, und er kam als erster Deutscher wieder und begann von neuem. Seine schöne Farm war inzwischen für ein Butterbrot an einen Inder verkauft worden. Jetzt durfte er gegen hohe Entschädigung sein früheres Eigentum als Pächter bewirtschaften."

Durch "Heia Safari", der Fritz Langs Zweiteiler "Spione" (er läuft gleichzeitig in einem anderen Dresdner Ufa-Kino) die Zuschauer wegnimmt, wird die Kulturfilmabteilung der Ufa auf Martin Rikli aufmerksam und engagiert ihn als Autor und Regisseur. Leiter ist der Mediziner Nicholas Kaufmann; zusammen mit dem Biologen Ulrich K.T. Schulz und Wilhelm Prager bildet er die Produzentengruppe der Abteilung. Die zweite Filmexpedition, die Rikli, nun für die Ufa, übernimmt, geht 1929 nach Nordafrika, Tunesien, Tripolitanien und die Cyrenaica. Dort bewundert Rikli die Architektur und Landwirtschaft der faschistischen Kolonialmacht Italien. "Mussolinis Grußart scheint den Eingeborenen in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Mit dem hochgehaltenen Arm und offener Handfläche grüßen sie die europäische Zivilisation und europäische Technik." Zunächst als Kulturfilm produziert, erhält der nachträglich vertonte, abendfüllende Film "Am Rande der Sahara" (1930) eine von Wilhelm Biebrach inszenierte Spielfilm-Rahmenhandlung, durch die die Ufa hofft, mehr Zuschauer ins Kino zu locken. Riklis respektvolle Schilderung jüdischer Höhlen-Siedlungen in der Umgebung von Garian in Libyen, die im gleichnamigen Bildband zum Film 1931 veröffentlicht wird, ist aus den Memoiren von 1942 gestrichen.

Die folgenden Expeditionen, 1932 nach Ostasien und 1935 nach Abessinien, versteht Rikli als "filmische Geschichtsschreibung". Das Interesse des "Chronisten" gilt dabei vorwiegend Kriegssituationen, 1932 dem chinesisch-japanischen Krieg und 1935 den Kriegsvorbereitungen gegen Italien. Aus dem Filmmatierial der Ostasien-Reise produziert er ein "Filmtagebuch vom Krieg in China" und "So ist China" (beide 1932), die anderen Titel, "Im Heiligtum von Ling-Yin" (1932) und "Ein Jungbrunnen im Lande der Mitte" (1932) versteht er als feuilletonistische Nebenprodukte. Auf der Reise lernt Rikli Roland Strunk, den späteren Kriegsberichterstatter des "Völkischen Beobachters", kennen. Beide teilen die Bewunderung für Japan: Rikli begeistert sich für die Kamikazeflieger, Strunk für das "Ehrengesetz der Samurai". Die beiden arbeiten bei mehreren Projekten zusammen, so bei dem Buch "Achtung! Asien marschiert!" (1934).

Rikli ist der erste "Propaganda-Berichterstatter" (Hans-Jürgen Brandt), noch ehe die Nationalsozialisten an der Macht sind. Auch seine letzte abendfüllende Dokumentation, der Kompilationsfilm "Feldzug in Norwegen - gegen England" (1940), für den er neben deutschem Material auch Wochenschaufilme des Gegners verwendet, zeugt von der Faszination gegenüber dem Krieg. Überdies betreibt Rikli Manipulation durch Montage (und Kommentar), eine Praxis der Sekundärverwertung von Filmmaterial, die bei Kulturfilmproduktionen mangels Masse schon seit der Übernahme der BuFA-Bestände durch die Ufa 1919 vielfach geübt wird.

Riklis Filme der dreißiger Jahre gelten Einrichtungen, in denen sich das NS-Regime ‚modern' und ‚technisch führend' gibt; es sind Militärfilme ("Gorch Fock", 1934, "Husaren zur See", 1935, und der vollends durchinszenierte Film "Flieger, Funker, Kanoniere", 1937) oder solche, die die neuen, paramilitärischen Institutionen des NS feiern - "staatspolitische Kulturfilme" (Rikli) wie "Straßen ohne Hindernisse" (1935) über den Reichsautobahnbau, "Wir erobern Land" über den Reichsarbeitsdienst (1937), "Arbeitsmaiden helfen" über den weiblichen Arbeitsdienst (1938) und "Jugend, fliege!" über Modell- und Segelflugbau im NS-Fliegerkorps (1939/40).

Seine naturwissenschaftlichen Lehrfilme, "Röntgenstrahlen" (1937), "Radium" (1939/40), "Vom Schießen und Treffen" (1940) oder "Windige Probleme" (1941) erfüllen den seit den Anfängen des Kulturfilms staatlicherseits geförderten und gewünschten Anspruch, Naturwissenschaft und Technik in der Bevölkerung zu popularisieren. Doch die Akzeptanz dieser obligatorisch als (ca. 15-minütiges) Beiprogramm im Kino eingesetzten Streifen beim Publikum ist nicht sehr groß. 70% der Kinobesucher sind in diesen Jahren weiblich, Rikli organisiert das Material nach dem Prinzip der Attraktion und Sensation, führt die Zuschauer an ihnen im Alltag "verschlossene Orte", und jedes abstrakte Thema wird mit einem Bezug zum Alltag präsentiert.

Der von der nationalsozialistischen Ideologie überzeugte Rikli bleibt bis 1944 bei der Ufa. Dann kehrt er, den Zusammenbruch des NS-Regimes ahnend, in die Schweiz zurück und ermöglicht wenig später Nicholas Kaufmann, der ebenfalls einen Schweizer Paß hat, die Flucht aus Deutschland. Kaufmann setzt sich in die Schweiz ab. Zurück in Zürich wird Rikli Inhaber eines Instituts für Farbenfotografie und betätigt sich weiter auf dem Gebiet des Lehrfilms. So produziert er u.a. die Filme "Wolken als Wetterpropheten" (1944/45) und "Weißer Schleier" (1944/45). 1949 erscheint unter dem Titel "Seltsames Abessinien. Als Filmberichterstatter am Hof des Negus" in Zürich die "bereinigte" Fassung seiner Memoiren von 1942, "Ich filmte für Millionen". Rikli versucht darin, sich zu re-patriieren. Martin Rikli, der "zu den engagiertesten und potentesten Parteigängern des NS-Regimes innerhalb des Dokumentarfilms" (H.J. Brandt) gehört, stirbt am 7. April 1969 in Zürich.

 uvk