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Alexander Wolkoff
wird 1885 in Moskau geboren. Er stammt aus einer adligen Familie, die
ursprünglich an der Wolga ansässig war. Sein Vater ist leidenschaftlicher
Musikenthusiast, seine beiden Schwestern feiern als Klaviervirtuosinnen
Erfolge. Einer seiner Vorfahren, Theodore Wolkoff, war zur Regierungszeit
der Zarin Katharina II. ein berühmter Bariton und gründete das Théatre
Russe Permanent in St. Petersburg.
Schon in der Gymnasialzeit widmet sich Alexander
Wolkoff intensiv der Malerei. Seine Begabung ist groß, man läßt ihn ein
Gemälde der russischen Zarin Alexandra, Gemahlin von Zar Nikolaus II.
anfertigen. Es wird 1900 nach Paris geschickt und erhält dort die große
Medaille.
Gleichzeitig beschäftigt sich Wolkoff, der eine
schöne Gesangsstimme besitzt, wie seine Schwestern mit Musik und strebt
eine Bühnenlaufbahn als Sänger an. 1902 wird er an die kaiserliche Oper
nach Moskau engagiert. Als ein Jahr später der russisch-japanische Krieg
ausbricht, werden seine Pläne zunichte gemacht. Nach der ersten russischen
Revolution 1905 lebt er größtenteils in Theater- und Musikerkreisen.
Er lernt den aus dem Baltikum stammenden Filmproduzenten
Paul Thiemann kennen, der seit 1904 die Moskauer Vertretung der französischen
Gaumont leitet und seit 1907 die ersten russischen Wochenschauen produziert.
Thiemann bietet ihm eine Filmrolle an. Doch Alexander Wolkoff, der das
Filmschaffen von Grund auf lernen will, zieht es zur Regie. Er tritt in
das Verlagshaus Thiemann, Reinhardt & Osipov ein, das die Vetretung führender
westeuropäischer Produktionsfirmen (der dänischen Nordisk, der schwedische
Svenska, Vitagraph, der italienischen Ambrosio und Gloria-Film) in Rußland
übernommen hat. Wolkoff arbeitet dort als Szenarist, Autor von Zwischentiteln,
Übersetzer, Cutter, Pressereferent und kaufmännischer Vertreter.
Als Paul Thiemann 1912 das Moskauer Studio der
Pathé übernimmt, bietet er Wolkoff die Leitung seines Ateliers im georgischen
Tiflis an. Wolkoff stellt die Produktion des Studios um: nicht mehr die
marktgängigen Detektivgeschichten sollen fortan hergestellt werden, sondern
Apaptionen anspruchsvoller Literatur. Neben klassischen Werken der russischen
Literatur widmet sich das Studio, von der französischen Film d'Art-Bewegung
angeregt, auch westeuropäischen Autoren. Wolkoffs erste eigene Regiearbeit
ist 1911 der Einakter "Der Gefangene im Kaukasus" nach Alexander Puschkin,
in dem er auch selbst die Hauptrolle spielt. Zu den drei Regisseuren,
die für Thiemann arbeiten, V.Viskovskii, M.Bonch-Tomashevskii und A.Uralskii,
engagiert Wolkoff den berühmten Theatererneuerer Wsewolod Mey'rhold
hinzu, der Oscar Wildes "The Picture of Dorian Gray" für den Film einrichtet
und inszeniert. Der Film kommt 1915 in die Kinos.
Nach einer schweren Verwundung in den ersten Monaten
des Krieges und einem halbjährigen Aufenthalt im Lazarett wechselt Wolkoff
1916 zu dem Produzenten Josef Ermol'ev nach Moskau. 1918 ist die Firma
Ermol'ev, eine der wichtigsten Produktionsgesellschaften des vorrevolutionären
russischen Kinos, gezwungen, ihren Firmensitz nach Yalta auf die Krim
zu verlegen. 1920 zieht sie nach Konstantinopel um, schließlich läßt sich
Ermol'ev mit seinen künstlerischen Mitarbeitern nach kurzem Aufenthalt
in Marseilles in Montreuil bei Paris nieder. Josef Ermol'ev verbindet
sich mit dem Produzenten Noe Bloch, die gemeinsame neue Firma nennt sich
Films Albatros. Wolkoff wirkt zunächst als Darsteller in "La Pocharde"
(1921) mit, konzentriert sich dann jedoch auf die Regie.
Bis Mitte der zwanziger Jahre wird Films Albatros
ein Synonym für ebenso anspruchsvolle wie in der Ausstattung führende
französische Studioproduktionen, die ganz auf den Starschauspieler, Drehbuchautor
und Regisseur Ivan Mosjukin
zugeschnitten sind. Er hatte zusammen mit Ermol'ev und dem Regisseur Jakov
Protazanov Rußland verlassen. Wolkoff wird in der Folge der zweite Regisseur,
mit dem Mosjukin ein außerordentlich
erfolgreiches Gespann bildet. In kurzer Folge entstehen "L'Enfant du carnaval"
(1921, Co-Regie mit Mosjukin),
"La Maison du Mystère" (1922), ein melodramatisches Serial in sechs Episoden
und das romantische Filmdrama nach A. Dumas fils, "Kean ou Disordre et
Genie" (1923) über den berühmten englischen Shakespeare-Darsteller Edmond
Kean. Seine Hauptrolle in "Kean" macht Ivan
Mosjukin zum internationalen Star.
Der Regisseur Abel Gance bemerkt zum Regiestil
Wolkoffs, er habe es "vernachlässigt, dem Auge zu schmeicheln, um direkt
ins Herz des Zuschauers zu gelangen". Vor allem zwei Filme, die Wolkoff
als Regisseur und Co-Regisseur gestaltet, bestätigen dieses Urteil, die
zusammen mit Mosjukin inszenierte,
surreale Komödie "Le Brasier ardent"
(im deutschen Verleih als "Ehegeschichten")
und "Les Ombres qui passent" ("Schatten, die vorüberziehen"), ein frühes
tragikomisches road movie mit einem teils verhaltenen, teils als pfiffiges
Landei agierenden Ivan Mosjukin.
Danach beendet Wolkoff seine Zusammenarbeit mit
Ermol'ev. 1926 unterstützt er einige Monate Abel Gance bei den Dreharbeiten
zu seinem monumentalen Geschichtsepos "Napoléon". Im Jahr darauf feiert
Wolkoff mit der Cine-Alliance-Deulig Coproduktion "Casanova" einen Welterfolg.
Temporeichtum, rasente Kostümwechsel, szenische Üppigkeit und eine pantomimenhafte
Choreographie machen "Casanova" zu einem Monument des historisierenden
Großfilms. Das französische Ausstattungskino steht auf seinem Zenit.
Für zwei Jahre arbeitet Wolkoff daraufhin in Deutschland:
bei der Ufa entsteht der märchenhafte Ausstattungsfilm "Die Geheimnisse
des Orients" (1928) und im Anschluß daran das Freiheitsepos "Der weiße
Teufel" (1929/30) nach L. Tolstoj mit Mosjukin
in der Titelrolle. Wolkoff kehrt nach Frankreich zurück, um mit "La mille
et deuxième nuit" (1932) eine weitere "1001 Nacht"-Episode als Tonfilm
zu realisieren. Danach übernimmt er die künstlerische Oberleitung zu Vladimir
Strijewskijs Legionärsfilm "Le Sergent
X/Sergeant X", der in einer deutschen und einer französischen Fassung
produziert wird. Mosjukin spielt
darin seine erste Tonfilmrolle, wobei sein russischer Akzent im Drehbuch
motiviert werden muß. 1934 folgt ein Tonfilm-Remake von "L'Enfant du carnaval".
Da Wolkoff stets den "russischen Stil" und eine
gewisse Manieriertheit gepflegt hat und diese Form mit dem Aufkommen des
poetischen Realismus in Frankreich an ästhetischer Kraft verliert, bleibt
seine Filmarbeit in den dreissiger Jahren sporadisch: mit "Stjenka Rasin/Wolga,
Wolga" dreht er 1936 noch einmal einen film in Deutschland, "Amore imperiale"
entsteht 1941 in Italien. Es ist sein letzter Film. Alexander Wolkoff
stirbt am 22. März 1942 in Rom.
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