Sergej M. Eisenstein 
 
Sergej M. Eisenstein

 

Biographie [1918  1923  1925 1928 1930  1933  1937  1941] Literatur
Sergej Michailowitsch Eisenstein wird am 23. Januar 1898 als Sohn des städtischen Zivilingenieurs und Architekten Michail Osipovic Eisenstein und seiner Frau Julija Iwanowna in Riga/Lettland geboren. 1905 erlebt er das gewaltsame Vorgehen der zaristischen Polizei gegen Demonstranten bei der ersten russischen Revolution. 1906, bei einem Paris-Besuch, sieht Eisenstein George Mèliès' „Die 400 Streiche des Teufels". Von 1908 bis 1915 besucht er das Rigaer Realgymnasium und befreundet sich mit Maxim Maximovic Strauch, mit dem er später bei vielen Theater- und Filmprojekten zusammenarbeitet. Nach einer Pamphletbroschüre gegen die Trunksucht verfaßt und inszeniert er sein erstes Theaterstück und beginnt zu zeichnen. 1909 trennen sich die Eltern. Sergej bleibt bei seinem Vater in Riga. 1915 beginnt Eisenstein ein Ingenieursstudium an der Hochschule für Zivilingenieure in Petrograd (ehedem St.Petersburg). Er beschäftigt sich intensiv mit analytischer Geometrie. 1916 entstehen erste Kostümskizzen, sein Interesse gilt besonders dem antiken Theater. 1917 ist er von Meyerholds Inszenierung von Lermontovs „Maskerade" begeistert. Er veröffentlicht eigene Karikaturen und belegt Kurse an der Fähnrichschule für Heerestechniker in Petrograd. 
1918 tritt Eisenstein als Techniker für Militärbauten in die Rote Armee ein. 1919 fertigt er zahlreiche Skizzen und Entwürfe für Bühnenbilder und Theaterkostüme an und gründet während seiner Stationierung in Velikie Luky mit Mitgliedern des 18. Bauregiments eine Amateurtheatergruppe. 1920 stattet Eisenstein Agitationszüge aus. Die Beschäftigung mit dem Japanischen führt ihn zum Kabuki-Theater. Im Oktober beginnt er ein Japanisch-Studium an der Generalstabsakademie in Moskau und schließt sich dort der Theatergruppe Proletkul't an. Er entwirft Dekorationen für das Theaterstück „Der Mexikaner" (nach Jack London). Im November tritt Eisenstein aus der Akademie des Generalstabs aus und beginnt, an den Theaterwerkstätten des Proletkul't zu lehren. Zu seinen Schülern gehört Maxim Strauch. Im September 1921 tritt Eisenstein in die Regiewerkstätten Meyerholds (GVTM) ein. Zusammen mit Sergej Jutkevic entstehen Kostüm- und Bühnenbildentwürfe u.a. zu Shakespeares „Hamlet". 1922 übernimmt Eisenstein die Leitung einer unabhängigen Wandertheatertruppe des Zentralen Proletkul't-Theaters und tritt aus den GVTM aus.
1923 begegnet Eisenstein am Proletkul't-Theater Lev Kulesov, mit dem er Übungen zur Filmmontage macht. Im April  wird im Anschluß an Eisensteins Inszenierung des Stücks „Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste" (nach Alexander N.Ostrovskij, mit Texten von Sergej Tretjakov) sein erster Kurzfilm „Glumovs Tagebuch" gezeigt. In der Zeitschrift LEF erscheint das zusammen mit Boris Arvatov verfaßte Manifest „Montage der Attraktionen". 1924 montiert Eisenstein zusammen mit Esfir I. Shub Fritz Langs Film „Dr. Mabuse, der Spieler" (1922/24) für den russischen Verleih um. Die Begegnung mit dem Kameramann Eduard Tissé, der bei dem zwischen Juli und Oktober produzierten Film „Streik" hinter der Kamera steht, begründet eine über 20jährige Arbeitsgemeinschaft. Nach heftigen Auseinandersetzungen um die Autorschaft am Drehbuch von „Streik" verläßt Eisenstein den Proletkul't. „Streik" wird als Gemeinschaftsproduktion des Ersten Studios von GOSKINO und des Ersten Arbeitertheaters im April 1925 uraufgeführt. 
Im Sommer 1925 beginnt Eisenstein mit den Dreharbeiten zu „Panzerkreuzer Potemkin", der auf dem Szenario „Das Jahr 1905" von Nina Agadzarova-Sutko basiert. Bei den Dreharbeiten in Odessa entwickelt sich die Idee, die Geschichte um den Matrosenaufstand zu einem abendfüllenden Film zu erweitern. Am 24. Dezembert 1925, anläßlich des 20. Jahrestages der Revolution von 1905, hat „Panzerkreuzer Potemkin" im Moskauer Bolschoj-Theater Premiere. Im März 1926 bringt die Prometheus-Film den „Potemkin" in Berlin heraus. Eisenstein reist mit Tissé nach Berlin, um sich über die aktuelle Filmtechnik zu informieren. Nach Moskau zurückgekehrt, beginnt er mit der Arbeit am Drehbuch zu „Die Generallinie". Er begegnet Douglas Fairbanks und Mary Pickford anläßlich ihres Besuches in Moskau. Für das Staatliche Filmkomitee SOVKINO soll Eisenstein einen Film zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution drehen. Zugleich mit den ersten Aufnahmen zu „Die Generallinie" im Nordkaukasus entsteht das Drehbuch zu „Oktober". 1927 wird zugunsten dieses Projekts die Arbeit an „Die Generallinie" unterbrochen und im April mit den Dreharbeiten an „Oktober" in Leningrad begonnen. Eisenstein plant, ausgehend von der „intellektuellen Montage", in in Essay-Form Karl Marx' Schrift „Das Kapital" zu verfilmen. 
Im Januar 1928 führt Eisenstein eine Rohfassung von „Oktober" im Freundeskreis vor. Mitglieder von NOVYI LEF attackieren Eisenstein, worauf dieser sich von der Gruppe LEF trennt. Er wird Lehrer für Regie am Staatlichen Filmtechnikum GTK und arbeitet das Drehbuch zu „Die Generallinie" um. Zusammen mit Grigorij Aleksandrov und Wsewolod Pudowkin verfaßt er das „Manifest zum Tonfilm". Mit dem Argument, Film solle nicht Formen des Sprechtheaters nachahmen, verwerfen die Autoren eine Ton-Bild-Synchronität zugunsten eines „orchestralen Kontrapunkts visueller und akustischer Bilder". 1929 nimmt ein Komitee des SOVKINO den fertig-gestellten Film „Die Generallinie" („Das Alte und das Neue") ab. Auf Weisung Stalins muß die Schlußsequenz ummontiert werden. Eisenstein reist mit Aleksandrov und Tissé nach Berlin. Er besucht den internationalen Kongreß unabhängiger Filmschaffender in La Sarraz (Schweiz) und beteiligt sich and er Dreharbeiten zu TissésFrauennot-Frauenglück".  Er hält Vorträge in Zürich, Berlin, Amsterdam, London, Paris und Antwerpen. Am 7. Oktober 1929 wird „Das Alte und das Neue" uraufgeführt. 
1930 unterzeichnet Eisenstein in Paris einen Vertrag mit der Paramount und reist mit Eduard Tissé nach New York. Er hält Vorträge an verschiedenen Universitäten und trifft in Hollywood u.a. Charles Chaplin, Theodore Dreiser, Upton Sinclair und Walt Disney. Er schreibt die Drehbücher zu „Sutter's Gold" und „An American Tragedy". Eine antikommunistische Kampagne führt zum Bruch zwischen Eisenstein und der Paramount. Aus Mitteln des „Mexican Picture Trust" von Mary und Upton Sinclair finanziert, möchte Eisenstein einen Film über Mexiko drehen. Im Dezember 1930 beginnt er mit Aleksandrov und Tissé mit den Dreharbeiten in Mexiko-Stadt, doch die Produktion leidet von Beginn an unter Finanzierungsproblemen. Während der Regenzeit arbeitet Eisenstein an einem Buch über Regie. 1932 werden die Dreharbeiten zu „Que viva Mexico !" abgebrochen. Eisenstein reist mit seinem Team über die USA zurück nach Moskau und schreibt das Szenario zu „Maksim Maksimovic Maksim". Er erfährt, daß das Mexiko-Filmmaterial auf Veranlassung Upton Sinclairs nicht in Moskau geschnitten werden wird. 
Eisenstein wird als Leiter der Regiefakultät des Staatlichen Instituts für Filmkunst (GIK) bestätigt. 1933 entsteht die erste Fassung seines Buches über Theorie und Praxis der Filmregie. Er schließt einen Vertrag mit der Moskauer SOJUZKINO ab. Im September wird, von Eisenstein nicht autorisiert, der Film „Thunder over Mexico" in New York uraufgeführt. Sein 30-seitiger Artikel über den Mexiko-Film, den er an eine amerikanische Zeitung adressiert hat, wir nicht veröffentlicht. 1934 nimmt Eisenstein am Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller teil und heiratet, nach kurzen Reisen nach Jalta und Odessa, die Journalistin Pera Ataseva. 1935 wird er auf der Allunionskonferenz der Filmschaffenden wegen seiner Konzentration auf die Filmtheorie scharf attackiert. Er bereitet die Produktion zum Film „Die Beshin-Wiese" vor und beginnt mit den Dreharbeiten in Charkov und Moskau. 1936 erkrankt Eisenstein mehrfach und muß die Arbeit an „Die Beshin-Wiese" unterbrechen, das Szenario schreibt er zusammen mit Isaak Babel’ um. Die Dreharbeiten werden in Odessa und Jalta wieder aufgenommen. 1937 wird Eisenstein Professor für Regie am GIK. Auf Weisung der Hauptverwaltung der Sowjetischen Filmindustrie (GUK) muß die Arbeit an „Die Beshin-Wiese" eingestellt werden. Eisenstein verfaßt den selbstkritischen Aufsatz „Die Fehler der Beshin-Wiese". Das Filmnegativ geht während des Zweiten Weltkriegs verloren (1967 montiert der Filmhistoriker Naum Klejman unter der künstlerischen Leitung Sergej Jutkewitschs den Foto-Film „Die Beshin-Wiese"). 
Bis Ende 1937 schreibt Eisenstein mit Petr Pavlenko das Drehbuch zum Film „Rus’" (später „Aleksandr Newskij"), der im folgenden Jahr in den Studios der MOSFILM und in der Nähe von Pereslavl'-Zalesskij gedreht wird. Im November hat „Aleksandr Newskij", für den Eisenstein im folgenden Jahr vom Obersten Sowjet den Lenin-Orden erhält, im Haus des Films Premiere. 1939 macht Eisenstein mit Tissé in Usbekistan Probeaufnahmen zum Film „Fergana-Kanal", das Projekt wird jedoch abgebrochen, und Eisenstein nimmt das Angebot des Bolschoj-Theaters an, Richard Wagners Musikdrama „Die Walküre" zu inszenieren, die im November 1940 Premiere hat. Im selben Jahr beabsichtigt Eisenstein, einen Farbfilm über Puschkin zu realisieren und entwickelt Prinzipien zur „Vertikalen Montage". Im Oktober wird er zum künstlerischen Direktor der MOSFILM ernannt. 
1941 schreibt er in freiem Versmaß das Szenarium zu „Ivan Groznij", das er am Jahresende abschließt, und verfaßt einen Aufsatz über „Griffith und die Geschichte der Montage in der Kunst". Er reist nach Alma-Ata zu den dorthin verlegten MOSFILM-Studios. 1942 erscheint in New York seine Aufsatzsammlung „The Film Sense". Mit Sergej Prokov’ev arbeitet er an der Musik zu „Ivan Groznij". Das Staatliche Komitee für Filmfragen bestätigt das Regie-Drehbuch zu „Ivan Groznij". Der Film wird im April 1943 begonnen und Mitte 1944 abgeschlossen. Eisenstein schreibt Aufsätze über Chaplin und Meyerhold, das Komitee für Filmfragen erkennt den ersten Teil von „Ivan Groznij" an, der im Januar 1945 in Moskau Premiere hat. Es entstehen „Studien über eine nicht-gleichgültige Natur" und der Aufsatz  „12 Apostel" für den Sammelband „Panzerkreuzer Potemkin". 1946 erhält Eisenstein den Stalin-Preis für „Ivan Groznij". Im Februar erleidet er einen schweren Herzinfarkt und schreibt im Kreml-Hospital an seinen (unvollendet gebliebenen) Memoiren. Der zweite Teil von „Ivan Groznij" bleibt auf Beschluß des ZK (bis 1958) unveröffentlicht. 1947 nimmt Eisenstein seine Lehrtätigkeit am VGIK (früher GIK) wieder auf. Nach einem Gespräch mit Stalin beschließt er, den zweiten Teil von „Ivan Groznij" neu zu montieren. Er beginnt die Untersuchung „Gedanken zum Raumfilm" und wird zum Leiter der Filmsektion des Instituts für Kunstgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR ernannt. 1948 erhält Eisenstein eine Ausreiseerlaubnis für Prag, Paris und London, muß seine Reise jedoch wegen Krankheit verschieben. Sergej M. Eisenstein stirbt am 11. Februar 1948 in Moskau an den Folgen eines Herzinfarkts.

Nach: Sergej Eisenstein im Kontext der russischen Avantgarde 1920-1925. Ausstellung/Filme. Frankfurt am Main: Deutsches Filmmuseum 1992.

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 Lit. (Auswahl):

Sergej M. Eisenstein: Yo. Ich selbst. Memoiren. 2 Bände. Neuausgabe. Berlin: Edition Hentrich 1998.
Materialien zur Retrospektive Sergej M. Eisenstein (aus Anlaß des 100. Geburtstags) im Münchner Filmmuseum, Januar bis März 1998. 24 Hefte, hrsg. vom Münchner Filmmuseum in Zusammenarbeit mit dem Münchner Filmzentrum e.V.

Oksana Bulgakowa: Eisenstein und Deutschland. Berlin: Akademie der Künste 1998.

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