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1. Zur (Neu-)Legitimation
der Filmzensur nach dem ersten Weltkrieg Am
12. November 1918 wurde in Deutschland die Zensur einschließlich der Filmzensur
durch einen Aufruf des Rates der Volksbeauftragten mit Gesetzeskraft abgeschafft.
Damit wurde eine Praxis beendet, für die bislang die Länder des Deutschen
Reiches zuständig waren. In Preußen war die Filmzensur, verankert im
Allgemeinen Preußischen Landrecht, bei den Polizeibehörden angesiedelt.
Sie waren verantwortlich für „die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit
und Ordnung sowie zur Abwendung der dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern desselben
bevorstehenden Gefahr." [1] Die
Prüfung von Filmen, die die Voraussetzung für deren öffentliche
Aufführung im Kino bildete, nahm die Polizei vor Ort vor. Die Kinobesitzer
mußten der Behörde die Filme zur Prüfung vorlegen. Später
reichten auch die Filmproduzenten selbst und die Importeure ausländischer
Produktionen Filme zur Prüfung ein. Das Polizeipräsidium Berlin
fungierte in Preußen als zentrale Prüfinstitution. Die Ortspolizeibehörden
mußten in der Folge die eingereichten Filme zur Prüfung nach Berlin
weiterleiten. Sie selbst behielten das Recht, die von den Kinobesitzern vorgelegten
Filme zu zensieren. Die Länder Braunschweig und Württemberg regelten
die Filmprüfung per Gesetz vom 5.12.1911 („Gesetz über die öffentlichen
kinematographischen Schaustellungen"), bzw. vom 31.3.1914 („Gesetz betreffend
Lichtspiele") neu.[2]
Während
des ersten Weltkriegs bestanden die Zensurbefugnisse der Ortspolizeibehörden
fort, und in manchen Städten wurden zur Entscheidung darüber, ob ein
Film die „Geheimhaltung militärischer Geheimnisse oder die Aufrechterhaltung
der Stimmung im Volke gefährdete", [3]
auch militärische Berater zugezogen. Anderthalb
Jahre lang, zwischen Ende 1918 und Frühjahr 1920 produzierte die Filmindustrie
u.a. zahlreiche sog. „Sitten- und Aufklärungsfilme", gegen die sich von konservativer
Seite heftiger Widerstand erhob. [4]
Nach einer längeren Auseinandersetzung zwischen dem Reich und den Ländern
über die Neuorganisation der Filmzensur, an der insbesondere Sachsen, Bayern
und Preußen beteiligt waren, legte die Regierung am 9.November 1919 der
verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung einen Gesetzentwurf zur Neuregelung
der Filmzensur vor. Nachdem der Entwurf am 15.April 1920 in zweiter und dritter
Lesung im Reichstag beraten worden war, verabschiedete die Nationalversammlung
am 12. Mai 1920 gemäß Artikel 118 der Verfassung des Deutschen Reiches
das "Reichslichtspielgesetz", das am 29. Mai 1920 in Kraft trat.
Obwohl Artikel 118 der Weimarer
Reichsverfassung den Grundsatz „Eine Zensur findet nicht statt" formuliert, gilt
für das Kino nun eine Sonderregelung: „ ...doch können für Lichtspiele
durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden." [5]
War faktisch
mit Beginn der ersten deutschen Demokratie die Indizierungs- und Verbotspraxis
im Bereich von Theater und Literatur abgeschafft, so mißtrauten die Autoren
der Weimarer Reichsverfassung dem noch relativ jungen Medium Kino und seinem Publikum.
Mit dem einschränkenden Zusatz zum Verfassungsprinzip der Zensurfreiheit
und der Delegierung dieses sensiblen Gebiets an ein Gesetz gab die Nationalversammlung
den Präventiv-Positionen nach, die von einflußreichen Verbänden
(der Lehrerschaft etc.) seit der Kinoreformbewegung 1912f und bereits vorher im
Rahmen der „Schmutz- und Schund-Debatte" gegen den Film als Unterhaltungsmedium
und Freizeitvergnügen eines vorwiegend städtischen, (klein-)bürgerlichen
und proletarischen Publikums - wie es Emilie Altenloh 1912 in ihrer Studie
„Zur Soziologie des Kino" ausgemacht hatte - vorgebracht worden waren.
Die differenzierte
Behandlung von Schrift- und Bildmedien, besonders des Films, die die Basis der
neuerlichen Legitimation einer Nachzensur und deren gesetzlicher Fundierung bildet,
läßt darauf schließen, daß Bilder in dieser Phase primär
in ihrer Referenzialität auf die soziale Wirklichkeit wahrgenommen werden
- anders als Texte oder Aufführungen dramatischer Literatur. Der mimetische
Charakter zumal des fotografischen Bildes gibt mehr Transparenz auf Wirklichkeit
vor. Die Künstlichkeit einer Inszenierung und die Wahrnehmung von Signalen
der Fiktionalität treten in dieser Perspektive zugunsten der Konzentration
auf Effekte des Realen in den Hintergrund.
2. Zur Organisation
der Zensur - Die Filmprüfstellen Berlin und München
Der gesetzlich
verankerten Einrichtung von Filmprüfstellen an den Hauptproduktionsstandorten,
Berlin und München, ging im Jahr 1919 eine vehement geführte Auseinandersetzung
zwischen dem Reichsinnenministerium und den Ländern darüber voraus,
wer die Kompetenz zur Prüfung von Filmen beanspruchen könne. Die Länder
beharrten auf dem Standpunkt, jedes von ihnen solle über die Zulassung eines
Films innerhalb seines Gebietes selbst entscheiden können. Die Durchführung
von Filmprüfungen hätte, dieser Position entsprechend, wie vor dem ersten
Weltkrieg bei den örtlichen Polizeibehörden gelegen. Eine solche Lösung
hätte den Vertrieb und Verleih von Filmen zu einem unberechenbaren Unterfangen
gemacht. Die
in Berlin und München institutionalisierten Prüfstellen übernahmen
mit Inkrafttreten des RLG 1920 die Funktion, die bislang die Polizei innehatte.
Die Prüfkommissionen bestanden aus einem leitenden Beamten und mehreren Kammern,
die je fünf Mitglieder (einen Beamten als Vorsitzenden und vier Beisitzer)
hatten. Die Beisitzer wurden auf Grund von Vorschlagslisten der beteiligten Verbände
vom Reichsminister des Innern auf die Dauer von drei Jahren ernannt. Sie gehörten
zu je einem Viertel dem „Lichtspielgewerbe", dem Bereich „Kunst und Literatur",
zur anderen Hälfte dem Bereich der Volkswohlfrahrt, Volksbildung oder Jugendwohlfahrt
an. Es fehlten Vertreter aus den Reihen der Filmkritik und der Filmschaffenden
selbst. 3.
Die Einrichtung und Prüfpraxis der Film-Oberprüfstelle Berlin
Der
Status der Berliner Filmoberprüfstelle und ihrer Mitglieder ist im Deutschland
der Weimarer Republik verfassungsrechtlich höchst problematisch - Wolfgang
Petzet nennt ihn „janusköpfig" - denn die Insituttion steht zwischen Judikative
und Exekutive. Die Personen, die über Zulassungen oder Verbote von Filmen
letztinstanzlich entscheiden, sind zugleich Richter und Verwaltungsbeamte.
Bis 1924
leitet die Berliner Film-Oberprüfstelle der Schriftsteller und Oberregierungsrat
Dr. Bulcke. Ihm wurde gekündigt, und seine Nachfolge trat am 1.3.1924
der promovierte Jurist Ernst Seeger an. Er ist der Prototyp eines pflichtbewußten
Beamten, der sich dem Systemwechsel nach dem 30.1.1933 problemlos fügt.
Sprachlich am konkretesten greifbar wird diese adhoc-Wandlung im Verbot
von Eduard Tissés semidokumentarischem
Film „Frauennot-Frauenglück"
(1929/30, Dokument O.6704, 19.6.1933). Diesem Verbot ging eine Auseinandersetzung
mit den bayerischen Behörden voraus, die bezeugt, daß Seeger
das Gesetz tendentiell filmfreundlicher auslegt und allzu restriktiv verfahrende
Argumentationen von seiten der Länder abschmettert.
Nach Schaffung
des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda am
13.3.1933 übernimmt Seeger die Leitung der Abteilung V „Film" und
einen Monat später die Kontingentstelle, die über den Filmimport
bestimmt. [6] Zum 20.4.1934,
Hitlers Geburtstag, erscheint die von Seeger herausgegebene Sammlung der
„Gesetze und Verordnungen der nationalen Regierung für das deutsche
Filmwesen". Am 29.6.1937 ernennt Goebbels Seeger zum Obmann der Sektion
Filmwesen der 'Kommission zur Bewahrung von Zeitdokumenten'. Ernst
Seeger stirbt am 17. August 1937. [7]
Die Oberprüfstelle wird mit dem nunmehr abgeschlossenen Übergang
von der Nachzensur fertiggestellter Filme zur kompletten staatlichen Überwachung
der Produktionsprozesse durch den sog. Reichsfilmintendanten unter den
Bedingungen der NS-Diktatur 1938 aufgelöst.
Doch
zurück zur Weimarer Praxis: Das
Reichslichtspielgesetz von 1920 räumt Filmproduzenten und Verleihern sowie
den Landesbehörden ein wechselseitiges Widerspruchsrecht gegen die
von den Filmprüfstellen ausgesprochenen, reichsweit geltenden Zulassungen,
Kürzungsauflagen oder Verbote ein. Die Einreichfrist für Beschwerden
beträgt zwei Wochen nach Entscheidung der Prüfstelle. Nachdem
ein Produzent oder Verleiher gegen eine Prüfentscheidung Einspruch erhoben
bzw. eine Landesbehörde einen sog. Widerrufsantrag beim Reichministerium
des Innern eingereicht hat, wird über den beanstandeten Film vor der aus
fünf Mitgliedern bestehenden Film-Oberprüfstelle nochmals verhandelt.
Die Gutachten der Filmoberprüfstelle haben den Status von Verwaltungsgerichtsurteilen
mit reichsweiter Gültigkeit. Fälle wie Eduard
Tissés „Frauennot-Frauenglück",
über den fast zwei Jahre verhandelt wurde, zeigen jedoch, daß diese
Urteile in der Praxis von den Ländern und vor Ort immer wieder unterlaufen
wurden. Widerrufsanträge,
die die Länder stellen, führen i.d.R. einzelne Passagen eines Films
auf und formulieren für darin enthaltene Motive Wirkungshypothesen. So stellte
das Bayerische Innenministerium am 10.November 1928 in seinem Antrag auf Widerruf
der Zulassung von Cecil B.DeMilles
„Das gottlose Mädchen (The
godless Girl)" durch die Filmprüfstelle München die These auf, der
Film sei „nach seiner ganzen Aufmachung geeignet [...], die Arbeit der Fürsorgeerziehung
zu gefährden und daher die öffentliche Ordnung zu stören." [8]
Zwar räumen
die Verfasser des Antrags ein, daß der Film Verhältnisse in einem us-amerikanischen
Erziehungsheim schildert. Diese Differenz wird jedoch ressentimenthaft nivelliert:
„Denn die
Bevölkerung ist bei der Überflutung des deutschen Filmmarktes mit amerikanischen
Erzeugnissen so gewöhnt, Vorgänge des täglichen Lebens in amerikanischem
Gewande zu sehen, daß die große Menge mit Sicherheit den [...] Schluß
zieht, daß die Verhältnisse in deutschen Anstalten ähnlich seien
und daß sie daher in ihrem Widerstande gegen die deutsche Fürsorgeerziehung
bestärkt wird." [9]
Dem bayerischen
Widerrufsantrag und einer weiteren Intervention vom 16.November 1928 durch den
preußischen Innenminister, der Ausschnitte aus zwei Szenen verlangt hatte,
gab die Film-Oberprüfstelle zwar nicht nach, verhängte aber Schnittauflagen
insbesondere an Szenen im 5. Und 6. Akt, in denen Aufsichtspersonen die Zöglinge
gewaltsam behandeln. Darüber hinaus folgt die Oberprüfstelle der Argumentation
des bayerischen Widerrufsantrags nicht, denn der Schauplatz des Films sei „erkennbar
Amerika". Dem Urteil des Sachverständigen, Dr. Kämper vom preußischen
Ministerium für Volkswohlfahrt, der ein Verbot des Films gefordert hatte,
„weil seine Veröffentlichung mit Rücksicht auf das im Volke noch wurzelnde
Mißtrauen gegen die Einrichtung der Fürsorgeerziehung 'im gegenwärtigen
Zeitpunkt' verhängnisvoll wirken könne", folgte die Oberprüfstelle
nicht. Hintergrund der Debatte ist die erst kurz vorher in Deutschland erfolgte
Umstellung von der Zwangs- zur Fürsorgeerziehung, deren Ansehen der Sachverständige
durch DeMilles Film gefährdet
sah. Aus
diesem und ähnlichen Protokollen wird ersichtlich, daß die Filmzensur,
ursprünglich ein rein sozialethisches Instrument, im Verlauf der Zwanziger
Jahre eine deutliche Politisierung erfährt und Entscheidungen zunehmend politisch
begründet werden [10]
- bevorzugt dann, wenn ein Film Berufsgruppen kritisch darstellt, die gesellschaftlich
in hohem Ansehen stehen bzw. eine wichtige öffentliche Funktion innehaben:
Juristen, Lehrer, Ärzte, Beamte, Angehörige des Militärs. Insbesondere
justizkritische Filme sind Gegenstand scharfer Prüfverfahren, wie William
Dieterles Melodram „Geschlecht
in Fesseln" (1928) belegt. Am Beispiel des Verfahrens um Martin
Bergers „Kreuzzug des Weibes"
(1926) mit seinen Protagonisten Staatsanwalt, Arzt und Lehrerin wird die
Sensiblität gegenüber der Darstellung hochangesehener bürgerlicher
Berufsgruppen besonders deutlich. 4.
Zum Begriff der Wirkungszensur Die
Legitimationsbasis des Lichtspielgesetzes bildet im Gegensatz zur ehedem praktizierten
'Inhalts-' oder 'Geschmackszensur' die sog. 'Wirkungszensur',
eine Form der Reglementierung, die sich als Prävention unerwünschter
(psychologisch-sozialer) Auswirkungen von Filmrezeption begreift. Die Wirksamkeit
visueller Zeichen bleibt dabei höchst spekulativ: Mit dem in der aristotelischen
Poetik aufgestellten Prinzip der Katharsis, der reinigenden Wirkung gerade von
Gewaltszenen auf der Bühne, konkurriert in den Zensurdiskursen seit
der Wende zum 20. Jahrhundert ein diffuses Konzept einerseits der Imitation von
Formen abweichenden Verhaltens, die aus der Rezeption von Bildmedien resultiert,
[11] andererseits, vermittelter,
der Konversion von Rezeptionsprozessen in unerwünschte mentale Einstellungen.
Am deutlichsten drückt sich dies in dem Passus des Gesetzes aus, der Kriterien
für das „Vollverbot" eines Kinofilms benennt: „Die
Zulassung eines Bildstreifens [...] ist zu versagen, wenn die Prüfung ergibt,
daß die Vorführung des Bildstreifens geeignet ist, die öffentliche
Ordnung oder Sicherheit zu gefährden, das religiöse Empfinden zu verletzen,
verrohend oder entsittlichend zu wirken, das deutsche Ansehen oder die Beziehungen
Deutschlands zu auswärtigen Staaten zu gefährden." [12]
Daß
diese in § 1 RLG niedergelegte, allgemeine Formel eine Trennschärfe
zwischen 'Wirkung' und 'Inhalt' kaum zuläßt,
insofern sich das Prädikat „die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdend"
stets an konkreten dargestellten Handlungen und Ereignissen eines Films zu orientieren
hat, haben die Autoren der Fassung vom Mai 1920 durchaus berücksichtigt.
Der folgende Passus von § 1 RLG relativiert das Verbotsargument mit dem Hinweis
auf das Recht zur freien Meinungsäußerung: „Die
Zulassung darf wegen einer politischen, sozialen, religiösen, ethischen oder
Weltanschauungstendenz als solcher nicht versagt werden." [13]
Dies käme
einer verfassungsrechtlich nicht gedeckten, manifesten Inhaltszensur gleich. Ein
in dieser Defintion als 'tendentiös' wahrgenommener Motivkomplex
bleibt danach nur dann von Restriktionen verschont, wenn er sich als wirkungslos
erweisen sollte. Die Zensurbehörden sprechen im Verlauf der zwanziger Jahre
jedoch zunehmend gerade auf Grund weltanschaulicher und ethisch-moralischer Positionen
Schnittauflagen und Vollverbote aus. Was die Vollverbote betrifft, nehmen
Tendenzentscheidungen der Prüfstellen nach 1929 deutlich zu, wie Wolfgang
Petzet bereits 1931 kritisch herausstellt. [14]
Nach rund zehn Jahren Prüfpraxis gemäß dem RLG unterzieht
Petzet jeden einzelnen Passus des Gesetzes noch einmal einer kritischen Revision
und resümiert die Debatte, die die Rechtsprechung über strittige Filme
in der Fachpresse ebenso wie in Tages- und Wochenzeitungen von 1920 bis 1933 kontinuierlich
begleitet. Die
juristische Diskussion um den Begriff der „Gefährdung der öffentlichen
Ordnung und Sicherheit" eröffnet Wenzel Goldbaum, Syndikus des Verbandes
deutscher Filmautoren, unmittelbar nach Inkrafttreten des RLG 1920. Er folgert,
daß ein Filmverbot nur dann ausgesprochen werden kann, wenn „...dem Publikum
eine unmittelbare Gefahr droht, die Gefahr des Tumults, bei dem besonders auf
engem Raum das Publikum Schaden erleiden kann". [15]
Albert Hellwig, Amtsgerichtsrat in Frankfurt am Main und Verfasser des Buches
„Schundfilms" (1912), vertritt hingegen in seinem Kommentar zum RLG einen sehr
viel subtileren Wirkungsbegriff und weitet den Bereich der potentiellen 'Opfer'
eines Films, die präventiv durch die Zensur geschützt werden sollen,
aus: „Es
kommt dabei aber nicht lediglich auf die Wirkung auf die Z u s c h a u e r
an, [...], sondern daneben auch auf das sonstige Publikum, das von der Vorführung
des Bildstreifens erfährt. Bei dieser Berücksichtigung der mittelbaren
Wirkung der Vorführung auf das Publikum muß aber ganz besonders
sorgsam vorgegangen werden. Es ist insbesondere ein streng objektiver Maßstab
anzulegen, indem davon auszugehen ist, welches die Wirkung wäre, wenn der
betreffende Teil des Publikums der Vorführung beigewohnt hätte." [16]
Ähnlich
wie mit dem Wirkungsbegriff selbst verfährt Hellwig mit dem Passus der möglichen
Ordnungs- und Sicherheitsgefährdung durch den Film: „Es genügt [den
Film zu verbieten, U.v.K.], wenn der Bildstreifen geeignet ist, zu gefährden,
ohne daß festgestellt werden muß, ob eine derartige Gefahr tatsächlich
besteht.[...] Es genügt mithin, wenn nach vernünftigem Ermessen die
Herbeiführung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung,
wenn auch erst allmählich und mittelbar, durch die Vorführung zu erwarten
ist." [17] Diese
Erweiterung des Wirkungsbegriffs zielt weniger auf das Affektpotential des Kinopublikums,
denn auf dessen mentale Einstellungen und unterstellte subkutane 'Wirkungen'
filmischer Darstellung beim Publikum, die, so die Spekulation, potentiell
die Ebene der Gedächtnis-Repräsentation verlassen und in manifestes
Handeln münden können. Ordnete
das Gesetz, das der Neufassung des RLG vorausging, das Kriterium der „Verletzung
des religiösen Empfindens" noch dem Tatbestand der Gefährdung
der öffentlichen Ordnung zu, [18]
hat sich die Sensibilität gegenüber religiösen Motiven in der filmischen
Darstellung nunmehr erhöht. Auch hier wird abstrahiert von einer unmittelbaren
'Wirkung', deren Bedingung die Rezeption des Films selbst ist, zugunsten
einer mittelbaren 'Wirkung'. Hellwig führt hierfür die Inhomogenität
eines großstädtischen Publikums, das Film sieht und anderer sozialer
Gruppen ins Feld, die „der Vorführung selbst gar nicht beigewohnt, sondern
nur durch Erzählungen, Pressenachrichten usw. vom Inhalt des Bildstreifens
erfahren haben",[19] die jedoch
als potentielle Kinobesucher eingeschätzt werden.
Die Aufwertung
des Begriffs der 'mittelbaren Wirkung' in den Kommentaren
zum RLG erhöht die Interventionsmöglichkeiten gegen Zulassungen
in erheblichem Maße, wie z.B. das Verfahren gegen Hans
Kysers Film "Luther"
(1927/28) zeigt. Hier wurde, ausgelöst durch eine Protestnote beider
Kirchen gegen die Aufführung des Films in Nürnberg, ein über
mehrere Instanzen gehender Streit ausgefochten. Dem Film wurde vorgeworfen,
den religiösen Frieden zu stören. Das Zentralkomitee der Münchner
Katholiken forderte nach der ersten und zweiten, bereits Schnittauflagen
verhängenden Zulassung durch die Berliner Filmprüfstelle, [20]
eine öffentliche Aufführung in München zu verbieten, „da
der Film eine derart agressive, von rein geschichtlicher Darstellung weit
abweichende antikatholische Tendenz zeige, daß seine Aufführung
das katholische Empfinden aufs schwerste verletzen, den religiösen
Frieden stören und unabsehbare Unzuträglichkeiten heraufbeschwören
würde." [21]
Die Intervention
nennt insbesondere die Darstellung des Ablaßhandels und des Inquisitionsgerichts,
das den Reformator Martin Luther ohne Anhörung zum Feuertod verurteilt und
kapriziert sich auf einige Zwischentitel, in denen die Autorität des römischen
Pontifikats kritisch gesehen wird. [22]
In diesen, wie auch ähnlichen Verfahren bedauern die Verfasser z.T. explizit,
daß eine am Inhalt des Films (resp. seiner 'Tendenz') orientierte
Zensur gesetzlich nicht zulässig ist. Einen
noch weiteren Auslegungsspielraum läßt der Zensurinstanz die Zuschreibung
„entsittlichend und verrohend". Unter diese Wirkungshypothese fallen alle Motive,
die im weitesten Sinne die Komplexe Gewalt und Sexualität betreffen. Hellwigs
Kommentar führt als potentiell 'verrohend' „Unglücksfälle,
Tierquälereien, Selbstmordszenen usw." [23]
an, argumentiert jed och, daß nicht allein das Vorkommen derartiger
Motive ausschlaggebend dafür ist, ob ein Film oder eine Sequenz das Prädikat
'verrohend' zugeschrieben bekommt, sondern, daß die Art der
Darstellung und der narrative Kontext, in dem diese Motive stehen, entscheiden.
Unter das
Prädikat „entsittlichend" fällt ein Film, der „die Absicht, einen geschlechtlichen
Reiz hervorzurufen oder der Freude am geschlechtlichen Obscönen zu
genügen, dadurch zum Ausdruck bringt, daß er objektiv geeignet ist,
das geschlechtliche Schamgefühl unbefangener dritten Personen zu verletzen."[24]
Das Kriterium der Verletzung des Schamgefühls wird streng geschlechterpolitisch
ausgelegt: „Da Frauen im allgemeinen in sexueller Beziehung leichter verletzt
sein werden als Männer, und da Frauen erfahrungsgemäß einen großen
Bestandteil der Lichtspielbesucher bilden [wird empfohlen], daß Bildstreifen
nicht vorgeführt werden dürfen, welche eine anständige Frau ohne
Erröten nicht mitansehen könne."[25]
Unter
dieses Prädikat fallen viele Aufklärungsfilme der zensurfreien
Periode 1918/19, insbesondere auch Richard
Oswalds „Anders als die Anderen" (1919, vgl. „Gesetze der Liebe"),
dem Hellwig unterstellt, er mache „in widerlicher Weise für die Homosexualität
Propaganda".[26]
Mit Blick
auf den Filmexport rubriziert Hellwig die Aufklärungsfilme unter auch unter
dem Verdikt der „Schädigung des deutschen Ansehens im Ausland". Dieses Zensurmotiv
ist einerseits äußerst vage formuliert - Hellwig nennt neben den Aufklärungsfilmen
auch Dokumentarfilme (Filme, „die wirkliche Vorgänge wiedergeben oder doch
vorgeben, daß sie sie wiedergeben"), in denen Politiker oder das Militär
in negativer Weise geschildert werden oder die Fraternisierung von Frauen mit
Angehörigen ausländischer Besatzungstruppen zeigen -,[27]
andererseits wird darauf verwiesen, daß Filme, die diesen Tatbestand erfüllen,
unter der Bedingung zugelassen werden können, daß sie nicht exportiert
werden. Zu
den Filmmotiven, die die „Beziehungen Deutschlands zu auswärtigen Staaten"
gefährden könnten, rechnet Hellwig u.a. Darstellungen, die die Monarchie
glorifizieren oder zum Revanchekrieg auffordern.[28]
Filme, die die Biographien von Monarchen schildern bzw. historische Ereignisse
mit biographischen Stationen eines Monarchen verknüpfen, werden in
der Folge von den Zensur-Instanzen mit besonderer Akribie betrachtet. William
Dieterles „Ludwig II., König
von Bayern" (1929) ist nach der Münchner Produktion „Das Schweigen am
Starnberger See" (1919, nachzensiert 1921, R.: Rudolf Raffé ) der zweite
lange Spielfilm, der sich mit Geisteskrankheit und Tod des Monarchen auseinandersetzt.
Dieterle folgt der These, Ludwig habe Selbstmord begangen. Das bayerische Innenministerium
intervenierte gegen die Zulassung des Films durch die Berliner Prüfstelle
mit dem Argument, die bayerische Bevölkerung habe der Gestalt König
Ludwigs II. „ein vergötterndes Andenken bewahrt [...] und es sei nicht zu
bezweifeln, daß bei der Vorführung dieses Bildstreifens, der bei aller
künstlerischen Höhe doch manchmal Szenen, die geschmacklos und verrohend
wirken, enthalte, es nicht möglich wäre, die Ruhe und Ordnung aufrecht
zu erhalten. [...] Das Ende des Königs sei absolut wahrheitswidrig geschildert.
Der König habe nicht Selbstmord begangen, sondern sei bei einem Fluchtversuch
ums Leben gekommen."[29] Während
Bayern Ruhestörungen eines aufgebrachten lokalen Publikums sowie eine
Beeinträchtigung des Ansehens des Deutschen Reiches befüchtet, führt
der Vertreter des Reichsinnenministeriums die Zeitdifferenz zwischen der Entthronung
Ludwigs II. im Jahre 1886 und der Produktionszeit des Films gegen die Verbotsforderung
Bayerns ins Feld: „Wenn [...] auch eine trübe Darstellung eines deutschen
Königshofes gegeben wird, wo der geisterskranke Monarch durch einen Staatsakt
erst beseitigt wird, nachdem sich das Ministerium von dem Nachfolger die Zusicherung
hat geben lassen, daß es im Dienste bleibt [...], so liegen diese Begebenheiten
jedoch weit zurück [...] und sind deshalb nicht geeignet, das Ansehen des
gegenwärtigen Deutschland zu beeinträchtigen."[30]
5.
Kürzungsauflagen als Kompromißlösung
Im Gegensatz
zu den Vollverboten stellt sich die Auflage von Ausschnitten in der juristischen
Diskussion noch komplizierter dar. Hellwig interpretiert das Lichtspielgesetz
dahingehend, daß „in der Regel ein Bildstreifen entweder in seinem ganzen
Umfange zu verbieten oder freizugeben ist, daß also die Genehmigung nach
dem Ausschneiden von Teilbildern nur die Ausnahme bildet. Nur dann, wenn lediglich
bestimmte, im Verhältnis zum Ganzen kleine Teile des Bildstreifens zu Bedenken
Anlaß geben, sollen sie herausgeschnitten und der im übrigen unbedenkliche
Bildstreifen genehmigt werden."[31]
Auf die
Verständnisprobleme, die eine in diesem Sinne kupierte Filmhandlung
dem Rezipienten bereiten kann, weist Hellwigs Kommentar explizit hin:
„Ob der verbleibende Rest in derjenigen Gestaltung, die er nach dem Ausschneiden
der beanstandeten Teilbilder erhalten hat, noch verständlich ist
oder ob er gar ästhetisch noch wirkungsvoll ist, das ist für
die Prüfungsstelle, die kein Dramaturg ist, gleichgültig."[32]
In der Praxis wählen die Prüfstellen, die eine deutlich liberalere
Prosition als der konservative Kommentar Hellwigs verfechten, sehr häufig
die Kompromißlösung, Filme unter Kürzungsauflagen freizugeben.
Auch viele Urteile der Film-Oberprüfstelle weisen Anträge auf
Vollverbote zurück und verhängen stattdessen Schnittauflagen.
Das über eineinhalb Jahre währende Prüfverfahren gegen
„Frauennot-Frauenglück"
zog in Deutschland eine schrittweise Kürzung der ursprünglich
6-aktigen, 1.954 m langen Schweizer Originalversion nach sich. Ehe dieser
Film, wie erwähnt, am 19.6.1933 zur Gänze verboten wurde, war
er in einer offiziell zugelassenen Version von noch 1.680 m im Kino. Im
Falle von Georg Wilhelm Pabsts
„Die freudlose Gasse" (1925)
hatten die Kürzungsauflagen zur Folge, daß die Figurenhandlung
gravierende Motivationslücken aufweist, die sowohl dem realistischen
Erzählgestus von Willy Haas, als auch dem Inszenierungsstil Pabsts
eigen ist, nicht entsprechen.[33]
Die in vielen
Zensurprotokollen belegten Begründungen von Schnittauflagen lassen den für
die Legitimation von Filmzensur zentralen Begriff der 'Wirkungszensur'
vollends unscharf werden, bedeutet doch die Eliminierung einzelner Motive und
Sequenzen unmittelbar eine Manipulation des Inhalts eines Films.
6.
Die Revisionen des Lichtspielgesetzes und der Übergang zur nationalsozialistischen
Zensurpraxis
Seine
erste Änderung erfuhr das Reichslichtspielgesetz am 23.12.1922. §
4 betrifft die Verfahrensweise der Filmoberprüfstelle und legt fest,
daß der Widerruf der Zulassung auf Grund erneuter Prüfung des
Films erfolgt. Dazu wird der Film in der bislang zugelassenen Version
vorgeführt. Die Ergänzung sieht nun vor, daß ein Widerruf
auch ohne erneute Prüfung, d.h. ohne Augenschein ausgesprochen werden
kann, wenn der Oberprüfstelle kein Filmmaterial vorliegt. Das bedeutet,
daß die Produzenten bzw. Filmverleiher dazu verpflichtet werden,
fristgerecht eine Kopie bei der Oberprüfstelle einzureichen. Andernfalls
wird „nach Aktenlage" entschieden.
In der
sich zunehmend verschärfenden Wirtschaftskrise ermächtigte das
am 15. Juli 1930 verabschiedete „Gesetz über die Vorführung
ausländischer Bildstreifen" die Reichsregierung, „zur Wahrung der
kulturellen Interessen im deutschen Lichtspielwesen Bestimmungen über
die Voraussetzungen der Vorführung ausländischer Bildstreifen
(Filme) zu erlassen." Die konkrete Durchführung der Erlässe
oblag dem Reichsinnenminister.
Am 31.3.1931
wurde ein weiterer Passus in das Reichslichtspielgesetz aufgenommen, der
§ 2 ergänzte. Der Passus sieht vor, daß Filme, „gegen
deren unbeschränkte Vorführung Versagungsgründe aus §1
vorliegen, zur Vorführung vor bestimmten Personenkreisen oder unter
beschränkenden Vorführungsbedingungen zugelassen werden können."
Diese Ergänzung nimmt Bezug auf Filme, deren Themen, z.B. zum Komplex
Medizin und (Sexual-) Hygiene, zahlreiche Widerrufsanträge provoziert
hatten und die zugleich keine Zulassung als Lehrfilme bekamen. Zur Prävention
von Vollverboten wurde als Kompromiß die Form der „geschlossenen
Vorführung" gewählt. Damit waren jedoch diese Filme faktisch
der Öffentlichkeit entzogen. Die gravierendste Veränderung erfuhr
das Lichtspielgesetz mit der „Dritten Verordnung des Reichspräsidenten
zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer
Ausschreitungen", die am 6.Oktober 1931 verabschiedet wurde. § 1
des Gesetzes wird darin wie folgt ergänzt: „Die Zulassung eines Bildstreifens
ist zu versagen, „wenn die Prüfung ergibt, daß die Vorführung
des Bildstreifens geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates
oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu gefährden..."[34]
§
4 wird wie folgt umformuliert: „Die Zulassung eines Bildstreifens kann
auf Antrag des Reichsministers des Innern oder einer obersten Landesbehörde
durch die Oberprüfstelle für das Reich oder ein bestimmtes Gebiet
widerrufen werden, wenn sich nachträglich ein Versagungsgrund im
Sinne der §§ 1 und 3 [dieser betrifft den Jugendschutz, U.v.K.]
ergibt. Die den Widerruf beantragende Stelle kann die weitere Vorführung
des Bildstreifens bis zur Entscheidung der Oberprüfstelle untersagen."
Durch
diese Ergänzung kann die Reichsregierung, vertreten durch den
Innenminister, nunmehr selbst gegen zugelassene Filme intervenieren. Dies
bringt die Oberprüfstelle, die ja ihrerseits eine Einrichtung des
Reichsinnenministeriums ist, in eine vollends abhängige Position.
Ihre Rolle als Schiedsgericht bzw. höchstinstanzliches Schlichtungsinstrument
kann sie damit faktisch nicht mehr ausüben. So wird durch die Notverordnungen
der Regierung die Rechtsprechung vollends willkürlich. Politisch
mißliebige Filme dürfen trotz Erstzulassung nicht aufgeführt
werden, solange ein Verfahren schwebt.
Mit dieser
Verschärfung des Lichtspielgesetzes im Rahmen der Notverordnungen
zog der Gesetzgeber eine fatale Konsequenz aus den Zensurkämpfen
des Jahres 1930, in deren Mittelpunkt Lewis
Milestones „Im Westen
nichts Neues/All Quiet on the Western Front" steht. Die Vorführung
im Universum-Theater am Berliner Nollendorf-Platz war von vehementen Störaktionen
nationalsozialistischer Schlägertrupps begleitet, Goebbels war einer
ihrer Exponenten. Wolfgang Petzet schildert ein groteskes Szenario: Menschen,
„[...] die nicht einmal die ersten Bilder gesehen, formierten sich auf
der Straße, warfen Schaufenster ein, bespuckten einen katholischen
Geistlichen, rauften ihn am Barte und versicherten ihm, entgegen seinen
Beteuerungen, daß er doch ein Jude sei. Die Polizei zeigte sich
jedoch der Lage gewachsen und trieb diese in ihrer Art und Weise national
Entrüsteten auseinander."[35]
Am 19. Februar 1931 äußerte sich Reichsinnenminister Dr. Wirth
im Haushaltsausschuß des Reichstags, daß die Schutzpolizei
ihm zu gut dazu sei, „ihre Kraft zu verbrauchen zum Schutze dieses Films.
Der Kampf gegen den Nationalsozialismus werde nicht um diesen Film geführt.
Die Schupo und mit ihr der Staat hätten größere, wichtigere
Aufgaben zu lösen."[36]
Mit der
gesetzlichen Lösung, die die Restriktionen insbesondere gegenüber
Filmen ausländischer Produktion verschärfte, gab die Reichsregierung
den Störaktionen nach - die Nationalsozialisten verbuchten dies als
Erfolg.
Nach deren Machtübernahme
am 30. Januar 1933 wird durch einen Erlaß des Reichspräsidenten
am 13. März 1933 das Ministerium für Volksaufklärung und
Propaganda neu geschaffen. Mit Hitlers Verordnung vom 30. Juni 1933 gehen
auf dieses Ministerium Kompetenzbereiche aus dem Außenministerium,
dem Innenministerium, Wirtschafts- und Landwirtschafts- sowie Postministerium
über. Die Filmprüfung wird in der Folge neu organisiert und
in toto unter staatliche Macht gestellt. Das im Weimarer Staat geltende
Prinzip der Nachzensur frei produzierter Filme wird aufgegeben und die
gesamte Produktion durch die Institutionalisierung eines „Reichsfilmintendanten"
zentraler staatlicher Kontrolle unterworfen. Neben der institutionellen
Neuorganisation der Filmprüfung und staatlichen Überwachung
der gesamten inländischen Produktion sowie des Imports ausländischer
Filme erfährt der Passus über Verbotsgründe, d.h. die Aufzählung
von Zensurmotiven eine signifikante Erweiterung: „Die Zulassung ist zu
versagen, wenn die Prüfung ergibt, daß die Vorführung
des Films geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates oder die
öffentliche Ordnung oder Sciherheit zu gefährden, das nationalsozialistische,
religiöse, sittliche oder künstlerische Empfinden zu verletzen,
verrohend oder entsittlichend zu wirken, das deutsche Ansehen oder die
Beziehungen Deutschlands zu auswärtigen Staaten zu gefährden."[37]
In der
Begründung zur Neufassung des Reichslichtspielgesetzes vom 16. Februar
1934 heißt es: „Es ergibt sich nunmehr die Aufgabe, den Film als
Kultur- und Propaganda-Instrument die ihm gebührende Stellung im
neuen Staat einzuräumen und zu sichern.[...]. Während [jedoch]
die Wirkung der bisherigen gesetzlichen Regelung des Lichtspielwesens,
insbesondere auf dem Gebiet der Filmzensur eine rein negative gewesen
ist, erwächst dem neuen Staat die Aufgabe und die Verantwortung,
positiv am Werden des deutschen Films mitzuarbeiten. Dieser Aufgabe kann
der Staat nur gerecht werden, wenn er dem gesamten Herstellungsvorgang
des Filmschaffens seine Aufmerksamkeit zuwendet.[...] Es kann heute nicht
mehr hingenommen werden, daß auf Grund des Zensurgesetzes die Zulassung
durch die staatliche Filmprüfstelle Filmen gewährt werden muß,
gegen die sich bei ihrer Vorführung Widerspruch in weiten Bevölkerungskreisen
erhebt."[38] Noch einmal
wird in der Begründung explizit auf den Film „Im Westen nichts Neues"
eingegangen, der, nachdem auch Erich Maria Remarques Bücher verbrannt
worden sind, propagandistisch weiter instrumentalisiert wird.
Die Neuregelung
über geschlossene Vorführungen (§ 10, Abs.2) „macht es
unmöglich, wie es bei Zulassung des Films "Im
Westen nichts Neues" seinerzeit vorgekommen ist, den Personenkreis,
dem ein für die öffentliche Vorführung verbotener Film
zugänglich gemacht werden darf, so weit zu fassen, daß die
Zulassung die Wirkung einer öffentlichen Vorführung erhält."[39]
Durch
die Einführung der Position des Reichsfilmdramaturgen, dem die neu
formulierte Aufgabe der 'Vorprüfung' aller Filme zufällt,
werden die Berliner Prüfstelle (nach Abschaffung des Münchner
Pendants) ebenso wie die Oberprüfstelle per Gesetz faktisch zu Einrichtungen,
die Entscheidungen nur noch entgegennehmen.[40]
Die Film-Oberprüfstelle wird 1938 aufgelöst.
Was als
demokratisches Instrument begann, das Filmproduzenten, Pädagogen,
Jugendvertreter, Künstler und Juristen an einem Runden Tisch versammelte,
wird nach 16 Jahren zu einem Ausführungsorgan im totalitären
Staat, der in Sachen Film nur noch die Autorität des Propaganda-Ministers
kennt.
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